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Mit dem Fahrrad nach Istanbul

ÖBPV | Niederösterreich | 26.08.2015 um 09:06 Uhr

Mit meinen Freunden Peter Sagmeister und Robert Tscharf hatten wir uns für heuer ein interessantes Ziel vorgenommen. Wir wollten von zu Hause nach Istanbul radeln, weiter von Ost nach West quer durch Griechenland bis nach Igoumenitsa, von dort mit der Fähre nach Venedig oder Triest und mit dem Rad wieder nach Hause.

Berufsbedingt konnten wir diese Reise nur im Sommer planen, die Hitze würde also ein Thema sein.

Mit den Erfahrungen unserer Nordkap – Reise (2012 radelten wir in 24 Tagen vom Nordkap nach Ferlach) planten wir die Etappen diesmal sehr genau und wählten bewusst verkehrsarme Straßen, soweit es ging, abseits von Städten.

Am 11. Juli ging es los. Um 06:00 Uhr starteten wir über den Loiblpass nach Slowenien. Mit ca 10 Kilogramm Gepäck am Rad sind Steigungen eine besondere Herausforderung. Doch jede Steigung hat auch einen Vorteil, es geht irgendwann wieder einmal bergab. Trotz der sommerlichen Temperaturen mussten wir morgens bei der Abfahrt die Goretex Jacke anziehen. Bei Domzale wechselten wir die Richtung und fuhren über eine verkehrsarme Straße nach Osten, wo wir bei Zagorje ob Savi die Save erreichten. Das Wasser des Flusses war noch sehr sauber und nach dem Mittagessen sprangen wir samt dem Radgewand ins Wasser. Der Save entlang ging es noch bis Krsko. Im Internet hatten wir unterhalb des Kernkraftwerkes ein paar Auen entdeckt, wo wir eine gute Gelegenheit zum Zelten vermuteten. Wir aßen also in Krsko, kauften dann im Supermarkt für den Abend und das Frühstück ein und suchten einen Zeltplatz. Leider war der Fluss an dieser Stelle durch die Industrie so verschmutzt, sodass wir auf das abendliche Bad lieber verzichteten.

Um 05:30 frühstückten wir mit Cola und dem Rest des Abendessens und starteten zur 2. Etappe. Gott sei Dank war Sonntag und die Durchfahrt am Vormittag durch Zagreb wegen des geringen Verkehrs ein Vergnügen. Als Tagesziel hatten wir einen See ausgekundschaftet, wo wir ein Gasthaus oder ein Geschäft erhofften. Am Nachtmittag kamen wir planmäßig an und sprangen auch gleich wieder ins Wasser. Auf diese Art wurde auch die Bekleidung wieder halbwegs sauber. Leider gab es am See keinerlei Infrastruktur, deshalb waren wir gezwungen, noch 20 Kilometer weiter zu fahren bis wir in Novska endlich ein Gasthaus fanden, um etwas zu essen. Danach suchten wir neben den vielen Häusern mit Einschusslöchern einen Zeltplatz bis wir auf ein Minenwarnschild stießen. Schließlich fragten wir bei einem Privathaus, ob wir unser Zelt auf deren Wiese aufstellen durften. Das war ohne weiteres möglich, die Besitzerin wollte uns sogar Frühstück machen. Da wir aber bereits um 05:30 Uhr wieder zusammenpackten, schlugen wir diese Einladung aus.

Die 3. Etappe brachte uns über verkehrsarme Nebenstraßen nach Vinkovci. Dort gibt es mitten im Ortsgebiet einen Badeteich, wir konnten dort ohne weiteres zelten, es war spätnachmittags und wenig Betrieb. Im Supermarkt kauften wir ein fürstliches Abendessen und für jeden „ein Glas Wein“ (da wir keine Gläser mithatten, blieb als nächste mögliche Größe nur mehr eine Flasche für jeden).

Über Vukovar erreichten wir am nächsten Tag die Donau und radelten nach Serbien. In Novi Sad wechselten wir auf die Nordseite der Donau, um dem Großraum Belgrad auszuweichen. Endlose Sonnenblumenfelder zogen an uns vorüber, bis wir nach 190 km eine kleine Pension fanden, wo wir erstmals nicht im Zelt schliefen. Ganze 20 Euro kostete die Nächtigung für alle drei.

Der fünfte Tag unserer Reise begann mit einer Odyssee durch die Felder. Dem Hinweis eines Bewohners folgend kamen wir auf eine Schotterstraße und da die Richtung stimmte, fuhren wir weiter, die Schotterstraße mit einigen Abzweigern wurde schließlich nach 5 km zum Feldweg und dieser wies schlussendlich so hohen Bewuchs auf, dass wir absteigen mussten. Da daneben aber ein abgeerntetes Feld war, lag die Vermutung nahe, dass auf der anderen Seite ein Weg dorthin führte, schließlich musste eine große Erntemaschine dorthin gelangen. Wiederum behielten wir die Richtung bei und schoben die Räder übers Feld. Das Spiel ging auf, ein Feldweg führte uns zu einer Schotterstraße und diese wiederum zum Asphalt. Aus dem Verhauer wurde eine Abkürzung, statt 35 km 15 km, dann erreichten wir wieder den richtigen Weg. Mit einer Fähre überquerten wir die Donau an der rumänischen Grenze und schliefen am Silbersee bei Velika Gradiste am Campingplatz.

Der Donau entlang kamen wir auf einer zweispurigen Bundesstraße, auf der uns den ganzen Tag keine 10 Autos überholten, am 16. Juli beim Eisernen Tor vorbei. Dieser für die Schifffahrt einst gefährlichste Abschnitt der Donau führt flussabwärts zu einer Schleife, wo der Fluss einen 120 km Umweg nach Norden macht. Diesen Umweg wollten wir uns ersparen und suchten abseits der Hauptverkehrswege eine Verbindungsstraße. Abermals über Schotterstraßen fuhren wir auf so feinem Sand, dass die Räder oft einsanken und uns zum Absteigen zwangen. Keinerlei Hinweisschilder weit und breit, doch mit Hilfe von Holzarbeitern fanden wir schließlich die richtige Abfahrt und kamen nach Vratna, eine kleine Ortschaft mit einem Geschäft am Hauptplatz. Wir kauften Bier und Cola und setzten uns zu den drei Männern die vor dem Geschäft im Schatten saßen. Alle sprachen Deutsch, einer arbeitet beim Bauriesen Strabag in Wien. Gleich zu Beginn regte er sich darüber auf, dass es in Wien mittlerweile nicht mehr so schön sei, weil zu viele Ausländer dort seien. Wir lachten viel, verabschiedeten uns aber bald, weil wir noch bis Bulgarien kommen wollten. Vidin war die erste Stadt in Bulgarien und ein nobles Hotel mit Pool beherbergte uns für die Nacht.

Am nächsten Tag verließen wir bei Lom die Donau und fuhren quer nach Südosten. Unser Tagesziel war Lukovit, doch ein Speichenbruch bei Robert hielt uns lange auf. Wir bekamen nämlich den Zahnkranz nicht auf und mussten schließlich zu einem Radgeschäft, wo mit vereinten Kräften das Problem behoben werden konnte. Der Inhaber des Geschäftes hatte seine Freude mit uns, besorgte uns ein Hotel und kam abends mit Anhang und Dolmetsch zu uns. Eine Riesenfeier war die Folge, wir luden schließlich alle ein und sie beschenkten uns mit je einem Liter Schnaps. Da wir ihn aber nicht transportieren konnten, mussten wir ihn im Zimmer zurücklassen.

Eigentlich sollte der nächste Tag gemütlicher ablaufen, wir hatten ursprünglich nur 109 km geplant, weil wir dem Balkangebirge näher kamen. Über diesen Gebirgszug mussten wir drüber, es stand also ein harter Tag bevor. Durch den Speichenbruch fehlten uns aber noch 35 km vom Vortag und zusätzlich verhinderte ein Platten ein zügiges Fortkommen. Auch bei dieser Panne, ein Patsch ist eigentlich in 20 min repariert, zeigte sich die Hilfsbereitschaft der Bulgaren. Rasch war der Schlauch gepickt und wieder eingebaut, doch er ließ sich nicht aufpumpen. Auch ein neuer Schlauch, den wir danach einbauten, bekam keine Luft. Wir zweifelten bereits an der Pumpe und fragten bei den weit verstreuten Häusern, ob sie eine Fahrradpumpe hätten. Da erklärte sich eine Frau bereit, mit dem Auto und dem Laufrad zu einem Nachbar zu fahren. Mit Hilfe des Kompressors war schnell klar, dass beide Schläuche, auch der neue, kaputt waren. Erst der dritte Schlauch ließ sich aufpumpen. In der Zwischenzeit wurden wir von den Nachbarn mit Obst und Wasser versorgt. Keiner konnte Englisch, die Verständigung funktionierte mittels Telefon über den Sohn, der irgendwo im Büro saß und als Dolmetsch fungierte.

Die Balkanetappe machte uns noch Kopfzerbrechen. Jene Asphaltstraße, die über dieses Gebirge führt, ist gleichzeitig eine Hauptverkehrsroute und daher für Radfahrer nicht attraktiv.

Die Alternative, die wir auf der Bulgarienkarte fanden und die wir auch im Internet erkundeten, kannte aber vor Ort niemand. Wen wir auch fragten, keiner konnte uns Auskunft geben. Also verließen wir uns auf unsere Erkundigungen und starteten um 06:30 Uhr in die Berge. Über eine sehr steile Schotterstraße ging es durch den Wald bergauf und wir hielten uns bei jeder Abzweigung an die stärker befahrene. Leider ging das einmal schief und bei einer Wildfütterung war die Straße zu Ende. Es tat weh, mühsam erkämpfte 150 Höhenmeter wieder hinunterfahren zu müssen. Doch dann waren wir auf der richtigen Straße. Weg wäre eigentlich die bessere Bezeichnung, denn grober Schotter und schräge Steinplatten, gesäumt von Riesenlöchern, zwangen uns bald zum Absteigen. Mühsam schoben wir die Räder nach oben, bis wir nach insgesamt 3 Stunden auf ca 1500 Meter Meereshöhe eine wunderschöne Alm erreichten. Das mitgebrachte Frühstück schmeckte hervorragend und 15 km langsame Abfahrt über groben Schotter, dafür bei wunderschönen Wasserfällen vorbei, brachte uns nach Tazha. Doch diese enorme Kraftanstrengung war an diesem Tag noch nicht alles. Wir wollten nach Cirpan und dazwischen lag noch ein Hügel. Bei über 30 Grad quälten wir uns eine nicht enden wollende Straße nach oben. Als einzige Abkühlung diente das Auswaschen des Trikots bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Mit dem nassen Shirt waren die nächsten 15 km halbwegs erträglich.

In einem noblen Hotel versuchten wir die verlorenen Kalorien wieder aufzufüllen und fielen um 21.00 Uhr ins Bett.

Am 10. Tag unserer Reise rollten wir bereits der Türkei entgegen. An diesem Tag reisten wir über Griechenland nach Edirne, wo wir nach 157 km in eine andere Kultur eintauchten. Der Abendbummel durch die sehr belebte Stadt ließ uns staunen. Begleitet von den Rufen des Muezzins flanieren die Menschen auf der Straße, alles war sehr sauber. Das Essen war ausgezeichnet und wir fanden schließlich auch eine Bar, wo es Bier gab.

Über eine Schnellstraße radelten wir am nächsten Tag Richtung Süden. Erstmals konnten wir auf den Wegweisern unser erstes Ziel „Istanbul“ lesen. Doch die Etappe entpuppte sich anstrengender als gedacht. Ein Hügel folgte dem anderen und am Ende des Tages hatten wir mehr als 1100 Höhenmeter aufgezeichnet und das in einer Riesenebene. Die vielen Glasscherben am Pannenstreifen erforderten volle Konzentration. In einem 5 Stern Hotel genossen wir schließlich die Ankunft am Marmara Meer.

Von hier aus war es nicht mehr weit, wir suchten immer wieder kleine Straßen am Meer, und hofften abseits der Schnellstraße weiterzukommen. Mit vielen Irrwegen und autobahnähnlichen Teilstücken entdeckten wir schließlich nach 73 km Stadteinfahrt einen Park mit der Bezeichnung Istanbul. Also mussten wir da sein. Wir suchten ein Hotel und fuhren mit dem Taxi ins Zentrum. Das hektische Treiben nahe dem Taksim Platz hüllte uns ein und wir genossen den Abend bei gutem Essen und Livemusik.

Nach Besichtigung des Topkapi Palastes und der Hagia Sofia spürten wir allerdings die Anstrengungen der letzten Tage und am Nachmittag war das klimatisierte Zimmer des Hotels eine willkommene Ruhestätte.

Nun folgte der zweite Teil unserer Reise, die Durchquerung Griechenlands von Ost nach West. Über Tekirdag reisten wir nach Alexandropoulis. Temperaturen von über 40 Grad zwangen uns, die Etappen zu verkürzen und nur vormittags aufs Rad zu steigen. Nach vier Tagen erreichten wir Thessaloniki. Kurz vor der Stadt waren wir plötzlich auf der Autobahn, die wir nach ein paar Kilometern über den Zaun auf eine Nebenstraße wieder verließen. Nun folgte das Pindusgebirge, es standen also wieder härtere Zeiten an. Der erste Anstieg von Veria Richtung Kozani war 22 Kilometer lang und auch die nassen Shirts halfen bei der Hitze nicht mehr viel. Wir tranken pro Tag mehr als vier Liter Fruchtsaft und Wasser, Magnesia und Multivitamintabletten besserten das Wasser auf. Ab Mittag stiegen wir vermehrt auf Colaradler oder Bier um, anders war für uns der Flüssigkeitsverlust nicht auszugleichen.

Das vernünftige Vorhaben, nur mehr bis zu Mittag am Rad zu sein, wurde allerdings mehrmals vereitelt. Am 30.7. kamen wir nach 90 km in einem kleinen Dorf in den Bergen an, es gab allerdings kein Hotel. Wieder mussten wir um die Mittagszeit aufs Rad steigen und weiterfahren. Erst nach weiteren 70 km erreichten wir Konitsa, dafür war dieses Hotel umso herzlicher. Als wir am Morgen Richtung Igoumenitsa aufbrechen wollten, sagte die Wirtin zu uns, dass die zweite Nacht gratis sei. Da wir sowieso noch Zeit hatten, entschlossen wir uns spontan zu bleiben und trugen die Taschen zurück aufs Zimmer. Dieser Rasttag tat allen gut und bei 41 Grad erreichten wir einen Tag später, am 1. August unser zweites Ziel: Igoumenitsa.

Da die Zimmer im Hotel noch nicht fertig waren, verbrachten wir den Nachmittag am Pool bei Bier und Jause. Immer wieder sprangen wir ins Pool, waren ausgelassen und feierten. Als wir schließlich ins Zimmer konnten, trugen wir unsere Taschen hinauf, wuschen die Trikots und gingen wieder zum Pool. Peter sprang diesmal von der anderen Seite ins Becken, mit einer Kopfbombe. Leider war die andere Seite der nicht gekennzeichnete Kinderbereich und nur 1 m tief. Eine 15 cm lange Platzwunde am Scheitel war die Folge und mit 14 Nähten verließ er spätabends das Krankenhaus.

Wir hatten versucht, am Rasttag unsere Fähre nach Triest zu buchen. Doch diese Verbindung wurde offensichtlich gestrichen und wir fanden nur eine Fähre am 3.8. nach Venedig. Da wir keinen Drucker hatten, bekamen wir nur telefonisch eine Buchungsnummer, die Anfahrt frühmorgens zur Fähre war also sehr spannend. Es ging aber alles glatt und entspannt genossen wir die Fahrt Richtung Venedig. Peter entschloss sich, nach dem Rasttag und dem Tag auf der Fähre trotz Kopfverletzung mit dem Rad nach Hause zu fahren. Wir ließen ihn im Windschatten mitrollen und nach einer Nacht in Chiusaforte, wo wir seine Wunde wieder desinfizierten und neu verbanden, erreichten wir wohlbehalten die Heimat. Eine sehr intensive und einzigartige Reise über 3200 km mit 25.000 Höhenmetern klang gemeinsam mit einem Gartenfest aus.

Sepp Bierbaumer
Polizei - Bergführer, Landesausbildungsleiter im Bundesland Kärnten

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