Vom Nordkapp nach Ferlach
ÖBPV | Kärnten | 10.11.2012 um 14:44 Uhr
Der Plan:
Meine Freunde Mag Peter Sagmeister und Robert Tscharf hatten schon mehrere Radreisen in Nordamerika und Europa unternommen und ihr Projekt, vom Nordkapp nach Ferlach zu radeln, klang interessant. So schlossen wir uns mit Günter Tropper dem Unternehmen an. Eigentlich hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde, weil ich bis auf eine Österreich Rundfahrt als 16Jähriger vollkommen unerfahren war. Doch ich wusste, ich komme mit meinen Freunden gut aus, jeder kennt die Macken des anderen und weiß damit umzugehen, alle haben im Ausdauersport ein recht hohes Niveau, was sollte also schief gehen?
Die Vorbereitung:
Zuerst galt es einen Flug zu finden, der uns mit den Rädern im Gepäck möglichst nahe an das Nordkapp heranbringt. Dann mussten wir die Zeit halbwegs abschätzen und das war gar nicht so einfach, weil wir die Distanzen nicht genau kannten. Gibt man im Routenplaner die Strecke ein, so beträgt die Entfernung über Helsinki 3.700 km. Da man aber als Radfahrer die Autobahnen nicht nutzen kann, entstehen Umwege, die aus der Ferne nicht berechenbar sind. Also schätzten wir hoch und legten 1000 km dazu. Aus den Erfahrungen meiner Freunde ergab sich bei guten Bedingungen eine wöchentliche Kilometerleistung von 1000 km, also kamen wir mit einer kleinen Reserve auf 5 Wochen. Die Ausrüstung war bald beisammen, das Fahrrad, ein handelsübliches Mountainbike sollte ein Monat vorher einem gründlichen Service unterzogen werden. Die persönliche Vorbereitung begann bereits im März und bis zum Start betrug mein Tachostand am Rad 2.300 km (Peter schaffte sogar 5000).
Die Tour:
Mit 4 Kurzstreckenflügen ab München erreichten wir gegen 22:00 Uhr den kleinen Flughafen Honningsvag in Norwegen. Es war eine spannende Reise, da die Räder, in Schachteln verpackt, nur am 1. Flug bestätigt waren. Das bedeutet, dass die Fluglinie keine Garantie gibt, die Räder auch tatsächlich mit demselben Flug mitzunehmen. Also intervenierten wir bei jedem Zwischenstopp und machten auf unser Problem aufmerksam -und es gelang. Alle Räder waren zeitgleich mit uns am Ziel, besser gesagt am Start.
Der Flughafen ist 34 km vom Nordkapp entfernt, unsere erste helle Nacht verbrachten wir zwei Kilometer außerhalb des Flughafens in einer Bucht neben der Straße und unser Zelt blieb auch dort stehen, denn vorerst wollten wir ohne Gepäck bis zum eigentlichen Start radeln. Bei einer Temperatur von zwei Grad begleitete uns kalter Wind über die kahlen Hügel, ein ständiges Auf- und Ab bis zum nördlichsten Punkt Europas. Ca. 50 Meter vorher allerdings wartete ein freundlicher Norweger in einer Mautstation und wollte 80 Euro für 4 Personen als „Eintritt“ kassieren. Wir schauten uns nur kurz an, dann stand fest: Dies ist der Start und nicht das Ziel, ein Foto können wir auch hier machen, die Aussicht ist 50 Meter weiter gleich nebelverhangen und um das Geld kann man in Norwegen schon acht Bier kaufen. So ließen wir den verdutzten Norweger zurück und begannen unsere Heimreise.
Bei den Zelten angekommen stärkten wir uns mit einer Jause und radelten dann entlang der norwegischen Fjorde Richtung Süden. Tiefpunkt des Tages war im wahrsten Sinne des Wortes der Nordkapp Tunnel: 6,8 km lang und 212 m unter dem Meer. Erst mit 60 km/h bergab, doch leider dann im Schritttempo begleitet vom ohrenbetäubenden Getöse der Lüftungsturbinen wieder hinauf ans Tageslicht. Für die Nacht fanden wir eine geschützte Bucht im Osterfjord, wo wir das Zelt aufstellten und die restliche heimische Jause verspeisten. Leider hatten wir nichts eingekauft, so blieben uns für das Frühstück nur zwei Fischdosen und als Nachspeise Keks. So gestärkt fuhren wir 60 km bis zur ersten Ortschaft, wo der ersehnte Kaffee und Mehlspeisen den müden Körper wieder aufrichteten. Wir spürten alle den Vortag, der bereits mit 145 km und 1.876 Höhenmetern im Tagebuch stand. Wir wechselten uns in unregelmäßigen Abständen bei der Führungsarbeit ab, wobei Peter und ich, ohne viel darüber nachzudenken, den Hauptteil übernahmen. Am Nachmittag des zweiten Tages, es ging über eine mäßig steile Rampe durch norwegischen Strauchbewuchs, konnte ich jedoch das Tempo nicht mehr mithalten, das meine durch vermehrten Windschattengenuss ausgeruhten Freunde anschlugen. Peter registrierte mein Abreißen und half mir beim Aufholen. Abends bei einem wunderschönen See zelteten wir erstmals unter massivem Gelsenangriff, diesmal hatten wir auch für Abendessen und Frühstück eingekauft, da kam das Thema Führungsarbeit zur Sprache und wir vereinbarten eine neue Regel: 5 km Führungsarbeit für jeden, dann wird gewechselt. Dadurch entstand eine neue Zeitrechnung und der Tag wurde in Schichten eingeteilt. Wenn jeder einmal drankommt, sind 20 km vorbei usw.
So strampelten wir ab dem dritten Tag in einem regelmäßigen Arbeitsprozess durch die schönen Wälder Finnlands. Bei jedem Wetter bewegten sich unsere Räder zwischen 6 und 8 Stunden täglich und die morgendlichen Muskelschmerzen ließen nach den ersten Kilometern bald wieder nach.
In Finnland gibt es kaum Wirtshäuser, so versuchten wir den enormen Kalorienbedarf tagsüber aus dem Supermarkt zu decken und abends etwas Deftiges zu kochen oder die Fast Food Industrie zu bereichern. Am 11. Tag erreichten wir Helsinki und hatten damit 1748 km hinter uns. Eine nette Radfahrerin lotste uns auf Radwegen durch die Innenstadt bis zum Hafen und da die nächste Fähre bereits in einer halben Stunde auslief, kehrten wir Finnland den Rücken und streckten auf der Fähre über die Ostsee ein wenig die Beine aus. In Tallinn, Estland, angekommen gab es endlich Gasthäuser und wir konnten zu günstigen Preisen essen und trinken. Das hob die Qualität der Reise und erleichterte die Kalorienzufuhr. Bei einem wolkenbruchartigen Regen radelten wir schließlich noch aus der Stadt, bis wir beim Abendessen in einer Bar die Erlaubnis erhielten, dahinter unser Zelt aufzustellen und zu übernachten.
Leider gab es dort kein Frühstück und abermals musste der Supermarkt herhalten. Am 13. Tag unserer Reise erreichten wir Riga, die Hauptstadt von Lettland. Dort stiegen wir in einem netten, sauberen Hotel ab und gönnten uns einen Rasttag. Vormittags schauten wir uns kurz die Innenstadt an, nach dem Mittagessen übermannte uns jedoch die Müdigkeit und wir legten uns im Hotel schlafen. Abends speisten wir in einem Einkaufszentrum und feierten unseren Rasttag ausgiebig.
Dann begann wieder der Radalltag, doch auch nach dem Rasttag waren wir nicht ganz so frisch, als wir gegen 07:00 Uhr auf die Räder schwangen. Raus aus dem Verkehr war die Devise, doch erst nach 15 km erreichten wir Nebenstraßen, die ein einigermaßen angenehmes Fahren erlaubten.
Litauen als nächster Staat ist wohl der ärmste der Baltenstaaten und noch sehr „russisch“. Es gibt Volksküchen und am Land sonst kaum Infrastruktur. In der Stadt hingegen ist bereits alles sehr westlich. Nach 206 km erreichten wir durch Zufall einen Teich und konnten uns und unser Radgewand waschen und eine angenehme Nacht verbringen. Litauen behielt uns aber noch für einen weiteren Tag, wo wir auf einem kargen Feldhügel die Reste unseres Proviants verzehrten und erst tags darauf nach der Einreise nach Polen uns wieder waschen und frühstücken konnten.
Dieser Tag war der verkehrsreichste der ganzen Strecke, denn obwohl wir hauptsächlich Nebenstraßen benutzten, hatten wir oft das Pech, bei wenig Platz viel LKW Verkehr zu erwischen. Manchmal nur um Haaresbreite verfehlten uns die knapp hintereinanderfahrenden LKW Züge und es zehrte so stark an unseren Nerven, dass wir schon mit den Gedanken spielten, bei der nächsten Tankstelle einem x-beliebigen LKW Lenker stellvertretend für seine Kollegen eine runterzuhauen.
Radfahren wirkt jedoch im Allgemeinen nervenberuhigend und im Laufe des Tages verschwanden die Aggressionen von selbst und niemand hatte mehr etwas zu befürchten.
Östlich von Warschau suchten wir unsere Route durch kleinere Landgemeinden, die fernab von Verkehr und Tourismus sehr einfach strukturiert sind. Da gab es auch keine Campingplätze, wohl aber Hotels und da man nach 180 km nicht mehr die Muse hat, lange herum zu suchen, schliefen wir im erstbesten Hotel, das uns in den Weg kam und merkten dann erst auf dem Weg zum Abendessen, dass es auch Alternativen gegeben hätte. Doch im Großen und Ganzen nächtigten wir recht fein und preiswert.
Im Süden Polens führte unser Weg an der Hohen Tatra vorbei, mit der Folge, dass die Gegend zunehmend hügelig und die Fahrt wieder anstrengender wurde. Am schönen Oravasee erreichten wir die Slowakei und genossen an einem kleinen Campingplatz die günstigen Bierpreise, die mit 1,10 € ihren Tiefststand erreichten.
Die Hügel des nächsten Tages bestätigten unsere endgültige Ankunft in der Tatra und über Zilina erreichten wir die Autobahn nach Bratislava, wo wir uns auf der benachbarten Bundesstraße wenig Verkehr erhofften. Die Rechnung ging voll auf, denn wir rollten nicht nur bei wenig Verkehr sondern auch auf einer gut ausgebauten Bundesstraße mit Pannenstreifen Österreich entgegen.
Der Verkehr auf der Hauptstraße von Bratislava nach Eisenstadt zwang uns allerdings zu einer weiteren Routenänderung über den Neusiedlersee nach Sopron. Damit statteten wir auch Ungarn einen Kurzbesuch ab, wobei wir Glück hatten, denn nach der Tagesetappe von Nove Mesto bis Sopron (200 km) fanden wir erst im dritten Hotel noch ein Zimmer für 4 Personen. Für die Alternative „Weiterfahren“ hatte wirklich niemand mehr Lust gehabt. Über Oberwart kehrten wir nach Österreich zurück und brachten durch das steirische Hügelland wieder 200 km auf den Tacho bis eine Gewitterfront unser Etappenziel Eibiswald einhüllte und wir in Gleinstätten abstiegen. Seit Riga waren wir schon wieder 10 Tage im Sattel, der letzte Tag sollte im Vergleich zu den bisherigen Etappen mit 121 km ein lockerer Tag werden und abgesehen vom Radlpass, der uns mit Slowenien in den 10. Staat unserer Reise brachte, war es dann auch so. Freunde begegneten uns bereits in Lavamünd und unterbrachen unsere strenge Windschattenregel, indem sie uns bis Ferlach die Führungsarbeit abnahmen.
Mit einer großen Gartenparty in Unterferlach ging dann dieses eindrucksvolle Erlebnis würdig zu Ende.
Josef Bierbaumer