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Eisklettern und Schitouren mit Meerblick

ÖPBV | Steiermark | 01.01.1970 um 00:00 Uhr

Eisklettern und Schitouren mit Meerblick - Das waren die Zauberworte, welche meinen Freund Christian Lemmer und mich, beide Polizei-Bergführer aus der Steiermark, endlich wieder einmal nach Norwegen führten. In Oslo angekommen trafen wir uns zuerst mit Anders, unseren befreundeten norwegischen Bergführer. Von ihm konnten wir Schneeschuhe in Empfang nehmen, welche wir für die Zustiege zu den Eisfällen benötigen würden. Durch unser gewichtiges Eisequipment waren wir natürlich schon an dem von der Fluggesellschaft angegebenen Gewichtslimit angelangt. Deshalb waren wir froh, dass Anders sie schon für uns bereit hielt. Nach einem gemeinsamen Kaffee machten wir uns auf die 450 km lange Fahrt an die Westküste. Aus Oslo heraus gibt es nur einige Kilometer an Autobahn. Die restlichen Straßen in Norwegen sind einfache Haupt- und Nebenstraßen. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h dauert eine Reise im Norden immer etwas länger. Weiters haben die Nordbewohner, im Gegensatz zu uns, keinen Stress und keine Hektik - weder auf der Straße, beim Einkauf noch in der Arbeit!

 Die sibirische Kälte, welche über ganz Europa lag, hatte auch Norwegen fest im Griff. Im Landesinneren waren Temperaturen um die -18°C vorherrschend. Nicht gerade günstige Verhältnisse zum Eisklettern. Diese kalten Temperaturen machten das Eis hart und spröde, es trocknete aus. Schon ein einziger Schlag auf ein filigranes Eiswerk kann dieses zum Abbruch bzw Einsturz bringen. Das perfekte an diesem Land ist, dass es an der Westküste einen warmen Meeresstrom gibt. Dieser ist dafür verantwortlich, dass das Meer auch in kältesten Zeiten nicht zufriert und an Land relativ warme Temperaturen vorherrschen. Im Gegensatz führt diese warme Meeresströmung im Sommer dazu, dass die Wassertemperatur nicht über 16 – 17°C steigt und die Lufttemperatur eher dem unserer herbstlichen Zeit gleicht.

Nachdem wir langsam die nördliche Gelassenheit in uns aufgenommen hatten erreichten wir den Eingang ins Romsdalen. Dort tat sich vor unseren Augen eine gewaltige Bergwelt auf. Hohe senkrechte Felswände, über deren Abstürze sich gefrorene Rinnsale, Säulen und Zäpfen gebildet hatten, erschienen nach jeder Kurve ums Neue. Fasziniert und euphorisch blickten wir in die Wände und Flanken und konnten die letzten Kilometer bis ans Meer nur schlangenlinienfahrend zurücklegen.

Noch am selben Abend, nachdem wir eine gemütliche Hütte als Ausgangspunkt für unsere Aktivitäten gefunden hatten, stiegen wir bei Einbruch der Dämmerung in einen ersten Eisfall ein. Nach einer Seillänge standen wir im Stockdunkeln der Nacht und blickten auf die Lichter der Stadt unter einem orangeroten Horizont.

Am ersten richtigen Eisklettertag machten wir uns an den „Döntefossen“. 600 Meter Eis, teilweise im sechsten Eisschwierigkeitsgrad und perfekte Verhältnisse bescherten uns einen herrlichen Tag. Rein optisch täuschten uns die Größenverhältnisse etwas. Nach einem Gehgelände im tiefen Schnee im obersten Tei. steilte sich die Headwall nochmals auf. Für unser dafürhalten hätten wir den Abschlußteil in zwei Seillängen abgehakt. Als ich jedoch in der zweiten Seillänge gerade `mal in der Mitte des Falles angekommen war wurde uns bewusst, dass die Wände hier doch etwas größer, weiter, und höher waren als gewohnt. Am Ausstieg angekommen gesellte sich die Abenddämmerung zu uns. Im Strahle unserer Stirnlampen seilten wir uns anschließend über den großartigen Eisfall zurück zum Einstieg.

Am nächsten Morgen (es wurde um ca 08:00 Uhr hell, dafür gegen 17:00 Uhr finster) kletterten wir wiederum bei wenig Wind, angenehmen Temperaturen und Sonnenschein über steile Säulen, schmale Simse und fragile Strukturen in einer traumhaft steilen Bergkulisse.

Dann legten wir einen Ruhetag ein welcher darin bestand, eine Schitour auf einen der umliegenden Schneeberge zu machen. Gemütlich marschierten wir die 800 Höhenmeter in feinstem Pulverschnee in Richtung Gipfel. Immer wieder mussten wir ob der herrlichen Aussicht stehen bleiben und fotografieren. Nach dem Überstieg über eine Geländekante tat sich ein grandioser Blick über den Fjord, die Inseln und das Meer auf. Die Sonne lachte mit uns um die Wette und im Gipfelbereich ließen wir uns zur Rast nieder. Wir brauten frischen Kaffee und bei Zimtschnecken und Marzipankuchen genossen wir den Blick auf diese alles übertreffende Landschaft. Erst als die Sonne langsam hinter dem Horizont niedersank nahmen wir unsere Schi und fuhren durch perfekten Tiefschnee zu Tal.

Dann waren wir auch wieder psychisch für die nächste große Tour bereit. „Höyspent“, 700 Meter Eis, freistehende Säulen, teilweise überhängende Eisschilde und grandiose Tiefblicke in der eisigen Landschaft bescherten uns ein unvergessliches Abenteuer. Wiederum konnten wir uns nur im Schein unserer Stirnlampen zurück ins Tal abseilen und kamen erst spät zu unserer gemütlichen Hütte zurück.

Haubenkoch Chris zauberte für uns noch ein leckeres, kohlenhydratreiches Abendessen und mit Rotwein und selbstgemachten Zirben aus unserer Heimat ließen wir diesen Tag ausklingen.

In den folgenden Tagen konnten wir immer tiefer in diese faszinierende Landschaft aus Eis, Schnee und Fels eintauchen. Herausragend auch der Eisfall „Sjöla“. Einstieg ca 50 Höhenmeter über dem Meer mit anschließenden 7 Seillängen immerwährendem Meerblick. Bei einer Steilstufe angekommen konnte ich nicht widerstehen und sah beim ersten Blick unsere Linie. Über eine kurze, steile Stufe hinter einen Zapfen, eine letzte verlässliche Sicherung und dann auf den Zapfen hinausgespreizt. Ein kurzer Pendler und ich hing wie eine Fliege auf diesem steilen Gerät. Nach ein paar anspruchsvollen technischen Maximalzügen. Konnten wir über die „schwächste“ (sprich leichteste) Stelle des massiven Dinges hinweg in leichteres Gelände gelangen. Die folgenden Meter bescherten uns perfektes und genussreiches Eis mit einer abschließenden 15-Metersäule. Ein gewaltiger Blick tat sich unseren Augen am Ausstieg auf. Nach langer Zeit des Schauens und Genießens mussten wir schweren Herzens den Rückweg, diesmal sogar bei Tageslicht, antreten.

Nachdem die Wettervorhersage für die Küste sehr warme Temperaturen mit einigem Niederschlag versprach machten wir uns auf den Weiterweg. Die arktischen Temperaturen im Landesinneren waren sehr guten Eiskletterverhältnissen gewichen und so fuhren wir zurück in Richtung Süden. Im Valdrestal konnten wir nach einiger Zeit des Suchens ein wunderschönes Appartement beziehen. Am nächsten Tag machten wir uns wieder mit unseren Schneeschuhen auf den Weg durch den Wald zum Einstieg des Eisfalles. Diesmal jedoch machten wir die Bekanntschaft mit den wirklich oft heimtückischen norwegischen Schneeverhältnissen. Mitsamt den Schneeschuhen an den Beinen sanken wir teilweise bis über die Oberschenkel ein, blieben an Ästen und Sträuchern hängen und wühlten uns durch den grundlosen Schnee. Mit fluchenden Worten und zwei Stunden später standen wir dann doch beim Einstieg. Nach „nur“ drei Seillängen waren wir am Ausstieg angekommen und mühten uns beim Abstieg wieder mit unseren Schneeschuhen ab.

Am nächsten Tag konnten wir einen sehr bemerkenswerten Eisfall erklettern – „Bakkekollen“. 120 Meter, zwar nicht sehr hoch dafür aber sehr anspruchsvolles und technisch schwierige Eiskletterei  im hohen 6+ Eisgrad. Die ersten Meter in zapfigen und blumenkohlförmigen  Eis hängten nur über und erst nach zehn Metern konnte eine verlässliche Sicherung angebracht werden. Weitere 20 Meter in fragilem, senkrechtem und teils überhängendem Eis bescherten uns deutlich aufgepumpte Unterarme. Der Weiterweg führte über eine leichtere Seillänge wieder an einen überhängenden Wulst heran. Das dortige herabstürzende freie Wasser bescherte uns eine kühle Brause über diese schwierige Stelle hinweg, ehe wir in einer schönen Nische einen gut geschützten Standplatz errichten konnten. Mächtige Eiszäpfen hingen dort auf unsere Köpfe hernieder und in uns entstand der Eindruck als würden sie uns gleich einem Abenteuerfilm zerdrücken wollen. Von diesem Standplatz herauskletternd waren nicht nur noch lockere Unterarme und eine saubere Eisklettertechnik gefragt sondern auch eine starke Psyche! Auf den folgenden Metern hoch über dem Boden konnte keine verlässliche Sicherung angebracht werden, röhriges, fragiles Eis und überhängende Stellen forderten unser ganzes Können. Nach drei Stunden intensiver Kletterei konnten wir uns am Ausstieg die Hände reichen. Dies ist aber immer nur der halbe Weg. Der zweite Teil führte uns wieder zurück über den Eisfall und nach einigen luftigen Abseilmanövern erreichten wir zufrieden wieder den Einstieg.

Die Zeit verging viel zu schnell. Wir sahen noch so viele Eisfälle und Linien, welche nur darauf warteten erklettert zu werden. Jedoch, der Abflugtermin rückte immer näher, mit Wehmut sahen wir zurück zu „unserem“ letzten Eisvorhang. Langsam und ohne Worte stapften wir zu unserem Auto und bei einem letzten Blick zurück schworen wir uns: „Wir kommen wieder in dieses grandiose (Eis)Land zurück!!!“

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